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![]() 6. Plastik im Paradies |
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Herder vergleicht in seiner Schrift Plastik aus dem Jahre 1770 die Malerei mit der Bildnerei wie folgt: Malerei ist Kunst fürs Auge, nur fürs Auge. Skulptur, die schöne plastische Formen schafft, ist Kunst für die tastende Hand. Sie ist gewissermaßen Haut- oder Fühlkunst. - Anscheinend hat Herder dabei weniger an die meist rauen, kalten und kaum fasslichen, hoch auf Sockeln thronenden Statuen gedacht als vielmehr an ihre Modelle aus Fleisch und Blut. Die Malerei ist Traum, die Bildnerei aber Wahrheit, erklärt Herder. Er meint dieses: Ein gemaltes Objekt befindet sich nicht vor mir, d.h. nicht auf der Leinwand, nicht in dem Raum, in dem ich bin, sondern es wird imaginiert. Ich kann es nicht berühren. Das plastische Objekt dagegen ist so wirklich wie ich selbst mit meinem Leib. Ich kann es berühren. Sodann bemerkt Herder: Die Malerei kleidet immer, die Bildnerei nie. Die Malerei ist nichts als Kleid, sagt er. Das bedeutet, sie ist nichts als schöne Hülle, nämlich Zauberei mit Licht und Farben zur schönen Ansicht. Die Bildnerei oder Skulptur dagegen, meint Herder, könne überhaupt kein Kleid bilden, weil das Kleid kein Solides, Völliges und Rundes sei. Wo man die Verhüllung des Körpers liebte, wie im Morgenlande, sagt er, wäre deshalb keine Bildnerei möglich gewesen. Und in Ägypten wäre sie auch, wegen der unerlässlichen Bekleidung, seitwärts vom Schönen gegangen (die Pharaonen waren zumindest untenherum bekleidet!). Auch bei den Römern, meint Herder, weil sie nie auf Toga und Tunika verzichteten, wäre die Bildnerei nie so einverleibt, so beliebt gewesen wie bei den Griechen. Und natürlich hätte sie bei den Christen, wegen der notwendigen Bekleidung der exemplarischen Christenmenschen wie Mönch und Nonne, aber auch Feldherr und König, keine Fortschritte machen können. Die Griechen hätten in der Skulptur von ihren Helden die Erzhüllen und Steindecken abfallen lassen und den Körper schön unbekleidet abgebildet. Zumindest sei die Last des Kleides da zurückgeschoben worden, wo sie am wenigsten verbarg. Natürlich könne auch der nackte Körper gemalt werden. Aber das Nackte in beiden Künsten sei nicht dasselbe, meint Herder. Eine Statue stehe ganz da, unter freiem Himmel, gleichsam im Paradiese. Um sie sei Unschuld! Die Unschuld an sich! Die nackte Skulptur steht immer im Paradies. Sie ist durchs Paradies entschuldigt. Selbst in schlummernden Hermaphroditen, als Skulptur gebildet, sei keine Unzucht mehr zu finden, ruft Herder uns zu. Also können wir sie uns ohne schlechtes Gewissen anschauen und freudig erregt werden. Mit dem Zauber der Malerei stehe es anders, meint Herder. Die Malerei sei nicht Unschuld. Eher sei sie Verführung zur Unzucht. Denn: Der Schlemmer, so drückt Herder sich aus, würde in sein Kabinett lieber unzüchtige Bilder als Skulpturen holen. Denn Bildsäulen oder Skulpturen können ja, wie gesagt, gar nicht unzüchtig sein. Aber aufs Unzüchtige käme es dem Schlemmer an. Also würde er die Malerei favorisieren. Offenbar bleibt die Bildsäule für Herder immer züchtig, weil ihr gewisse Ingredienzien fehlen. Erstens dürfe sie nicht bemalt sein (obwohl die Griechen das ja durchweg machten). Sie dürfe auch nicht mit Haaren oder Fell bekleidet sein (wie Kokoschka es mit seiner geliebten Puppe machte.) Warum? Herder: Damit die Formen "schön" tastbar seien. Das heißt wohl, dass die Skulptur in ihrer Nacktheit schön geschlossen, glatt und undurchdringlich bleiben müsse, um nicht unzüchtig zu sein. Im übrigen, seufzt Herder in seiner Philosophie der Plastik, schriebe er ja diese Abhandlung nicht für Griechen, vielmehr für die heutigen Menschen. Schon Winckelmann hätte beklagt, dass er nicht unter Griechen leben und zu diesen sprechen könne. Und so dürfe er, wie es sich unter Christen geziemt, nichts verlauten lassen über die Darstellung des sexuellen Körpers. Zu leicht käme dann nämlich das tabuierte Thema der Päderastie oder Knabenliebe oder Homosexualität ins Spiel. Über die Streitfrage, was denn nun besser sei, die Frauenliebe oder die Knabenliebe, gibt es eine Anekdote, die Lukian (Pseudolukian, Amores 15) erzählt, eine Begebenheit, die mit der erotischen Wirkung von Skulpturen zu tun hat. Es geht wieder um die Liebe zu einer Aphrodite-Skulptur, wie bei Pygmalion. Diesmal aber um eine zweideutige Liebe. Hier die Geschichte. Ein junger Mann, verliebt in die Marmor-Aphrodite des Praxiteles, hatte sich nachts im Tempel, in dem die Statue stand, einschließen lassen und die Statue befleckt, aber so, als wäre es die eines Knaben gewesen. - Die Erzählung löst folgenden Streit aus (ich zitiere Lukian): "Ist der frevlerische Akt, da er sich an Aphrodite richtet, eine Ehrung derjenigen, welche die weiblichen Lüste hütet? Aber ist sie, die Ehrung, in einer solchen Form erbracht, nicht doch ein Zeugnis gegen Aphrodite? - Ein zwiespältiger Akt ist es. Soll man diese unfromme Ehrung, diese frevlerische Anbetung, nun der Frauenliebe oder der Männerliebe anrechnen?" Zurück zu Herder. Er beschließt seine Theorie der Plastik mit einer Apotheose der griechischen Skulptur, oder, wie er sagt, der Bildnerei, die so natürlich sei wie die Bildnerei unserer Kinder mit Wachs, Brot oder Ton und so natürlich und einfach, wie Max Ernst es später beschrieb: d.h. so einfach wie die Liebe mit beiden Händen. Herders Grundsatz seiner Philosophie der Skulptur lautet: Nur körperliches Gefühl kann uns Formen geben, aber es dürfen keine unzüchtigen Gefühle sein! Das heißt: Die Skulptur ist Formgebung des körperlichen Gefühls, sie soll uns "das züchtige Gefühl bedeutungsvoller Formen der Schöpfung Gottes und nicht Unzuchtbegriffe wecken". Herder schreibt abschließend in seiner wirklich komischen Philosophie der Plastik: "Ich könnte zeigen, dass die Bildhauerkunst überall nur so habe entstehen können, wie sie bei unsern Kindern entsteht, in deren Händen sich Wachs, Brot und Ton selbst bildet: zeigen, dass die Griechen in ihren Modellen dem Ursprung der Kunst treu bleiben, so fern sie ihm - treu bleiben mussten, und dass die Methode zu Modellieren, die Michelangelo gebrauchte und die Winckelmann so sehr rühmet, nichts als das sei, wovon wir reden. Nämlich: das (Wasser, und zwar das) jeder Form und Beugung sich sanft anschleichende und anplätschernde Wasser wird dem Auge des bildenden Künstlers der zarteste Finger, der durch den Widerschein gleichsam an mehrerer Runde, schwebendem Zauber und Lieblichkeit viel gewinnet. Ich könnte sagen, dass die natürliche Vielförmigkeit der griechischen Gebilde, da jeder Muskel schwebt, da nichts Tafel wird und keine Seite, keine Vierteilseite des Gesichts, wie die andre, folglich auch nie durch Kupferstiche, Zeichnungen, Gemälde darzustellen oder zu ersetzen ist, (ich könnte zeigen, dass diese natürliche Vielfältigkeit) uns Zug für Zug und fast unwillkürlich auf jede weiche Stelle, jede Form tastend ziehe u. dgl.. Wozu aber alles (noch sagen), was sich, wenn mein Satz (dass nur körperliches Gefühl uns Formen gebe) wahr ist, jeder selbst sagen kann." (S. 731) Damit sind wir wieder beim Anfang der Plastik, beim knetenden Schöpfer Adams und Evas und den handschmeichlerischen ersten Skulpturen wie die Venus von Willendorf, aber auch ziemlich am Ende bei Max Ernst, der das Modellieren mit der beidhändigen Liebesumarmung vergleicht.
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