3. Bildhauer-Mythen

-------   proben

-------   Kleine Philosophie der Skulptur

 

Schauen wir uns noch einige Mythen über die Skulptur an. Sehen wir uns an, welche Rolle die Skulptur in einigen Mythen spielt, Mythen, die den Menschen Orientierung boten und immer wieder auch selbst Gegenstand der künstlerischen Darstellung waren. Frühere Maler und Bildhauer waren ganz selbstverständlich Mythenkenner. Wir sehen dann, dass der eigene Leib als Skulptur aufgefasst werden kann und die Herstellung des menschlichen Leibes das eigentliche Ziel der Plastik sein dürfte. Vielleicht steckt hinter der Bildhauerei überhaupt das Bedürfnis, reale Wesen zu produzieren - womöglich in Konkurrenz zum weiblichen Gebären. Dieses männliche Wunschziel der Menschenerzeugung gilt besonders dem sexuellen, erotisch faszinierenden Körper, dem Liebesobjekt. Die Herstellung der Plastik wird dabei selbst zu einem erotischen Akt, einem Zeugungsakt.

Dazu wieder ein Wort von Max Ernst. Er sagt, Plastiken zu machen sei so primitiv und einfach wie die Liebe. Zitat: "Die Skulptur entsteht in einer Umarmung, zweihändig, wie die Liebe. Sie ist die einfachste, die ursprünglichste Kunst." - Sehen wir uns eine Brunnenskulptur von Max Ernst an: ein Fabelwesen, gleich einem Teddybären. Es scheint die Umarmung zu erwidern, der es seine Entstehung verdankt.

In der Bibel ist dieser zweiarmigen Kunst der Skulptur die Entstehung des Menschen verdankt. Am Anfang der biblischen Menschheitsgeschichte steht nämlich der göttliche Plastiker und nicht etwa der Maler. Der Bildhauergott knetet die ersten Menschen, Adam und Eva (im ersten Bibelkapitel, also 1 Mose 1 ), aus Tonerde (hebr. Adamah) und haucht seinen Gebilden eine Seele ein. (Dass es nur der Mann war, den Gott herstellte, und dass Eva dann erst aus einer Rippe Adams gewissermaßen geklont wurde, das steht erst im zweiten Kapitel 1 Mose 2.)

Nach Psalm 139:16 gab es Adam bereits vor bzw. während der Schöpfung als ungeformte Materie oder Lehm. Auf Hebräisch heißt das Golem. In der jüdischen Sage von Golem ist der Golem ein aus Ton gemachter Mensch, aber ein seelenloser. Der Golem des Rabbi Löw aus dem Prag Rudolfs II., gewissermaßen Prototyp des Roboters, macht sich selbstständig und richtet sich gegen seinen Erzeuger.

Auch für die Emanzipation einer weiblichen Skulptur gibt es einen hebräischen Mythos, die Sage von Lilith, der ersten Frau Adams, die wie er aus Tonerde modelliert worden war. Sie will aber nicht von Adam dominiert werden, d.h. beim Beischlaf nicht immer unter ihm liegen. Sie wurde deshalb von ihrem (aufs Patriarchat bedachten Hersteller) in die Wüste verbannt. Dort kann man sie in der Bibel noch finden (vgl. Jesaia 34:14). Der göttliche Plastiker (jetzt schon geradezu ein plastischer Chirurg) schuf dann aus Adams Rippe die etwas bekanntere zweite Frau Adams, also Eva. Sie ordnete sich Adam unter; schließlich hatte sie ja den Sündenfall verschuldet, indem sie sich von Jahwe in Gestalt der Schlange erfolgreich hatte verführen lassen.

Die Vorstellung, dass die Bildhauerei etwas Göttliches ist, indem sie Menschen, insbesondere schöne Frauen produziert, gibt es auch in der griechischen Mythologie. Von Ovid überliefert ist die Geschichte vom Bildhauer Pygmalion und seiner geliebten Puppe Galatea. Es ist die Geschichte von der geliebten Skulptur oder der Geliebten, die eine Skulptur ist. Die erste Skulptur bzw. ihr Prototyp ist demnach, also dem griechischen Mythos nach, die künstliche Venus oder Aphrodite - ganz wie die Venus von Willendorf. Die erste Skulptur ist im griechischen Mythos eine Kopie oder ein Klon der Aphrodite. Was wunder, dass, wenn die Skulptur als idealische Menschendarstellung begann, sie nun endlich heute im Menschenklonen bzw. der technischen Menschenherstellung sich vollendet.

Hier die Geschichte vom ersten Bildhauer Pygmalion. "Pygmalion verliebte sich in Aphrodite. Da aber die Göttin für ihn unerreichbar war, schnitt er ihr Bild in Elfenbein, legte es in sein Bett und flehte es an, ihn zu erhören. Gerührt von soviel Ergebenheit, schlüpfte Aphrodite in ihr Abbild und belebte es mit menschlicher Wärme. Als Galatea gebar sie dem Pygmalion den Sohn Paphos und die Tochter Metharme.

An Oskar Kokoschka sehen wir, dass auch ein der Malerei verschworener Künstler des 20. Jahrhunderts nicht vor dem Rückfall in die Primitivkunst der Plastik gefeit ist. Er fertigte sich zwecks dauernder Präsenz seiner Geliebten eine ihr täuschend ähnliche Puppe an, ganz mit weichen Daunen besetzt und optimal zum Beischlaf geeignet.

Anders als Galatea oder Kokoschkas Puppe ging es vor kurzem der Aphrodite von Lüppertz. Sie erwies sich als ungeliebte Skulptur. Nach ihrer feierlichen Enthüllung im Augsburger Rathaus war man entsetzt und enttäuscht. Lüppertz' Aphrodite zeigt sich als eine entsetzlich zugerichtete Frau mit rotem Gesicht und gänzlich verquollen Körper. Die wollte man nicht mehr.

Das erinnert an den altgriechischen Pandora-Mythos. Pandora war auch eine Skulptur, also eine künstliche Frau, und zwar die schönste Frau, die je geschaffen worden war. Im Auftrag von Zeus hatte Hephaistos sie aus Ton geformt. Die vier Winde hatten dieser Figur dann Leben eingehaucht. Aber Pandora war von Zeus dumm, böswillig und faul gemacht worden, denn Zeus wollte sie dem Bruder des Prometheus, dem Epimetheus, zukommen lassen, um ihn unglücklich zu machen. Sein Bruder Prometheus war es ja schon: Zeus hatte ihn als Strafe dafür, dass er den Menschen das göttliche Feuer gebracht hatte, an einen Kaukasusfelsen gekettet, wo ein Geier täglich seine immer wieder nachwachsende Leber fraß. Pandora, die künstliche und allerschönste, aber auch dümmste Frau, wurde also von Zeus auf Epimetheus angesetzt. Sie machte nicht nur ihn, sondern alle Welt mehr oder weniger unglücklich, denn sie öffnete ein Kästchen (die sog. Büchse der Pandora), in der Prometheus einst alle Übel, von denen die Menschheit geplagt werden könnte, eingesperrt hatte: Alter, Wehen, Krankheiten, Irrsinn, Laster und Leidenschaften. Diese Übel fielen also über die Menschheit her, nachdem Pandora die Kiste geöffnet hatte. Wäre nicht auch die sog. trügerische Hoffnung mit in der Kiste gewesen und nun auf die Menschen losgelassen worden, hätten die geplagten Menschen sich längst allesamt umgebracht. So hegen die Menschen immer noch, und zwar bis heute, die trügerische Hoffnung, von ihren Plagen erlöst zu werden.

 

-------

 

 

 

 

-------Max Ernst: Brunnenfigur vor dem Centre Pompidou in Paris

-------Der Roboter Eric, entworfen 1928 von Captain W. H. Richards

-------Jean-Léon Gérôme: Die marmorne Arbeit, 1890

-------

-------Spencer Tunick: 4000 menschliche Skulpturen im Park von Melbourne

-------

-------Edward Burne-Jones: Pygmalion (1878, Birmingham)

-------Kokoschkas geliebte Puppe von 1919

-------

-------Aphrodite von Lüppertz (2000)

-------